Nie wieder Nordsee!
Vorwort: Diese Schilderung der Ereignisse basiert auf meinem persönlichen Eindrücken. Beteiligte können diesen Ausflug ganz anders beschreiben.
Ich hatte mich auf diese Fahrt sehr gefreut. Es sollte ganz anders kommen, als von mir erwartet.
Erst spät hatte ich mich auf eine Nordseefahrt für Anfänger angemeldet. Oft hatte ich eine Enttäuschung erlebt, da die meisten Fahrten bereits ausgebucht waren. Diesmal hatte ich Glück und habe den letzten Platz von 7 Mitfahrern bekommen.
Die Tour war geplant mit ca. 20 Kilometer der Umrundung der Ostfriesischen Insel "Baltrum". Wie der Name schon sagt, ist man dort "bald rum".
So eine Strecke, auch bei etwas Wind und Welle traue ich mir zu. Die Ausrüstung hatte ich bereits schon 2 Jahre im Einsatz. Mit dem Seekajak fühle ich mich sicher und beherrsche es schon ganz gut. Oder mit anderen Worten sitze ich schon sicher im Boot. Eine RSTT (SAU) hatte ich im Vorjahr gemacht. Der Wiedereinstieg klappt also auch. Stützen muss ich noch besser machen. Für diese Fahrt sollten die Voraussetzungen reichen - so weit kann ich mich einschätzen.
Am Abend vorher fand eine "Briefing" statt. Hier wurden Szenarien (Seenotfall, etc.) beschrieben, die passieren könnten. Das sollte nicht geschehen, aber man weiß ja nie... Bereits am Abend vor der Tour wehte es ganz ordentlich. Angesagt waren 4-5 Beaufort aus Ost. 7:00 Uhr auf dem Wasser, da wir dann schon ca. eine Stunde nach Hochwasser starten. Um übers Wattenhoch zu kommen, mussten wir uns beeilen.
5:30 Aufstehen, Frühstücken (so früh ist das eigentlich gar nicht mein Ding), Brote schmieren, Trocki anziehen und los. Habe ich alles dabei? Lenzpumpe, Paddelfloat, Rettungsleine, Signalhorn, usw. Punkt 6:30 Uhr (mit Sonnenaufgang) war ich am Treffpunkt, da gingen die ersten schon zum Strand - 10min entfernt. Ich hatte kaum Zeit meine sieben Sachen zu verstauen. Der Wind blies heftiger, als am Tag zuvor.
Als Erstes wurde die zweite Tonne des Fahrwassers angesteuert. Gute Sicht, klarer Himmel mit Sonnenschein, wenn nur der Wind nicht wäre. Nach passieren der Tonne wurde die Fahrtrichtung um ca. 90 Grad geändert. Nun kamen die Wellen direkt von Achtern. Skeg weit raus und laufen lassen. Das hat bei mir nicht ganz so geklappt, wie geplant. Kurskorrekturen lassen sich schwer durchführen, wenn der Skeg zu weit draußen ist. Skeg ganz rein ging auch nicht. Achterliche Wellen schieben dann das Kajak dahin, wo sie wollen. Also musste das Teil nur ein wenig rausgeschoben werde - das ging einigermaßen. Trotzdem hatte ich ein mulmiges Gefühl, das es mich jeder Zeit umschmeißen kann. Ich meinte nur zum Fahrtenleiter, als er mich fragte, ob alles Ok ist: "Mehr Welle darf nicht sein". So ist es nun mal, wenn man wenig Erfahrung mit solchen Bedingungen hat.
Nach den Wellen ging die Fahrt schnell in eine Wattwanderung über. Die Tonnen lagen schon flach und wir hatten noch nicht mal eine Hand breit Wasser unterm Kiel. Aussteigen und Treideln war angesagt. Teilweise hatten wir Kontakt mit Muschelbänken, die schön am GFK-Rumpf schrabbelten. Mit meinem Grönlandpaddel hatte ich sowieso keine Chance Vortrieb auf das Boot auszuüben, da die Fläche im Wasser viel zu klein ist.
Das Wasser lief natürlich immer weiter ab. Wir liefen also dem Wasser hinterher. Beim Wattenhoch ist das so. Zwischen Festland und Insel befindet sich das Wattenhoch ungefähr in der Mitte. Zu beiden Seiten läuft das Wasser bei Ebbe weg. Es ist eben die höchste Stelle im Watt. Da mussten wir erst Mal rüber, um überhaupt eine Chance zu haben wieder fahren zu können.
Einen Bootswagen sollten wir - für alle Fälle - mitnehmen. Nun dies war für mich kaum vorstellbar im Watt mit einem Bootswagen vorwärts zu kommen. Durch das Gewicht des Bootes würden doch die kleine Räder einsinken. Ein Problem wäre sicherlich gewesen, die Gurte, die das Kajak auf dem Traggestell so fest zu zurren, dass dieser nicht ständig auf dem Rumpf hin- und her rutscht. Ich kannte dieses Problem schon bei weichem Sand. Gut, dass es nicht dazu kam den Wagen benutzen zu müssen - zumindest nicht im Watt.
Das Treideln mag einigen Kajakfahren Spaß machen - mir nicht. Ich bin zum Paddeln drei Stunden mit dem Auto an die Nordsee gefahren. Nun gut - es war nun mal so und so schlimm war es auch nicht und bald hatten wir nach mehrmaligen Ein- und Ausstieg wieder genug Wasser. In der Ferne war sogar schon eine Tonne zu sehen, die nicht ganz flach lag. Wir kamen in Bereiche, die etwas tiefer liegen, also näher zum Fahrwasser zwischen Neßmersiel und Hafen Baltrum.
An der Mole vorbei zum Sandstrand landeten wir. Die Geschäfte in dem kleinen Ort - nur Ferienhäuser - hatten noch nicht geöffnet. Es war noch zu früh am Morgen. Mein Biorhythmus sagte mir etwas anderes. Es fühlte sich eher wie Mittag an. Eine kleine Erkundungstour der Westseite der Insel bei strahlenden Sonnenschein folgte. Allerdings kühlte der Wind meine Körper deutlich aus, obwohl ich schon eine Jacke über den Trocki gezogen hatte. Darunter trug ich Sportunterwäsche, die leicht abtrocknen kann. Möglichst aus dem Wind raus sollte Abhilfe bringen, um wieder wärmer zu werden.
Kaffee und anschließend einen "Navi-Rum" am Strand belebten das Wohlgefühl wieder. Am Vormittag Rum pur trinken, hatte ich bisher auch noch nicht gemacht. Auf der Westseite von Norderney, was genau gegenüber liegt, befindet sich eine Wrack. Dort wollten wir hin. Die Entfernung betrug ungefähr einen Kilometer. An dem Trittstein angelandet - außerhalb des NSG - konnte der Wind mit voller Wucht von der Nordsee erreichen. Am Wrack war es noch besser, denn dort wehte Sand auf.
Drei mögliche Fahrtrouten wurden gemeinsam erörtert.
1. Rund um Baltrum, außerhalb der Sandbänke, die auf der Seeseite der Insel vorgelagert sind. Das heißt: Wellen querab und ständig Gefahr zu laufen so erwischt zu werden, das es einen umschmeißt.
2. Zurück übers Wattenhoch zuerst mit auflaufenden Wasser, dann warten bis genug Wasser zum weiterfahren da ist. Weiter gegen auflaufendes Wasser und was noch viel schlimmer ist, gegen den Wind.
3. "Nothafen Neßmersiel über Fahrrinne fahren und versuchen über Land die 8km wieder zurück nach Dornumersiel zu kommen (Taxi, Anhalter oder zu Fuß)
Diese Möglichkeiten wurden bereits am Vorabend dargestellt. Es wurde abgestimmt. Ich entschied mich für Variante 3.
Wir hatten Zeit. Niedrigwasser war um ca. 13:00 Uhr. Kurz vor Eins machten wir und auf den Weg Richtung Wattenhoch. Nach kurzer Fahrt waren die flachliegenden Tonnen zu sehen. Kein Weiterkommen - Aussteigen - Warten - Keks essen und sich vom Wind durchpusten lassen. Der Ostwind hatte etwas mehr nach Nord (NordOst 5-6 bft) gewechselt. Die Landabdeckung durch Langeoog hatte den Vorteil, dass die Wellenhöhe wesentlich geringer als auf dem Hinweg war. Ich hatte schon Befürchtung, dass die Wellen, außer dem Wind, ein weiteres Problem darstellen würden.
Nur noch gegen Wind und Strömung und ab nach Hause, dachte ich. Ja es war zu Anfang anstrengend, aber nicht übermäßig. Zwei Mal fuhr ich etwas voraus und wartete auf die Gruppe. Mein Paddelbody hatte ich nicht aus den Augen verloren. Anscheinend war ich wohl doch weiter voraus gefahren, als gedacht. An einer Pricke hielt ich mich fest, um zu warten. Der Fahrtenleiter meinte, es würde ein Mitpaddler Schwierigkeiten haben, das Tempo zu halten. Welches Tempo - mir kam es vor, als wenn wir kaum Fahrt über Grund machten!
In weiter Ferne konnte ich den Küstenstreifen von Langeoog und das Festland sehen. Bei dieser Entfernung ist es schwer einzuschätzen, ob man überhaupt vorwärts kommt. Eine GPS Uhr hatte ich dabei, doch vergessen auf Start zu drücken. Es hätte mir wahrscheinlich sowieso nicht viel genützt. Wir waren langsam - sehr langsam und mehr als immer weiter paddeln konnten wir nicht machen.Ca. 4 Stunden lang ging das so. Der etwas schwächere Paddler wurde abwechselnd von den Fahrtenleitern geschleppt. Ich hätte gern mitgeholfen, doch mittlerweile hatte ich genug mit meiner Kondition zu tun. Die war auch nicht mehr die Beste. Zum Schleppen hätte es nicht mehr gereicht.
Die letzte Bucht (ein Matschloch) vor dem Campingplatz erreichten wir mit Müh und Not. Hier war die Wassertiefe ungefähr eine flache Hand. Paddeln war nicht drin.
Also wieder aussteigen und versuchen ín dem wabbeligen Untergrund aufrecht zu bleiben. Die war nicht so einfach und das Ufer war noch ca. 100m entfernt. Ein Kollege fiel mehrmals ins Watt. In der Bucht war kein Watt, sondern eher eine sumpfartiger Untergrund. Die Füße sackten bis zu den Unterschenkeln ein. Am Ende meiner Kräfte erreichte ich mit dem Kajak hinter mir ziehend das Gras am Ufer. Dann sank ich in die Knie. Meine Haltung musste so aussehen, wie jemand, der zu Gott betet.
Was die Urlaubsgäste wohl dachten, als ich Richtung Wohnmobil Stellplatz ging. Das verschlammte Kajak sah ähnlich aus wie der Fahrer. Das dies einen Tortur war, wurde auch meinem Gesichtsausdruck anzusehen gewesen sein.
Möglich, dass ich das so empfunden habe und meine Mitstreiter nicht so. Mein Fazit des Ganzen lautet: Nie wieder Nordsee!
Die hartgesottenen unter den Seekajakfahrern sehen diesen Tagesausflug eher gelassen. Wahrscheinlich haben schon viele Nordseefahrer so eine Fahrt in ähnlicher Form erlebt. Das ist ja noch gar nichts - es geht noch viel schlimmer. Nun für mich als eher unerfahrener Kajakfahrer muss es für den Anfang nicht unbedingt sein.
Sage niemals nie. Zur Zeit jedenfalls ziehe ich eher Flüsse und Seen vor. Vielleicht ergibt sich mal wieder eine Fahrt auf der Nordsee, doch erst einmal werde ich die Erfahrung verarbeiten.
Viele Grüße an meine Mitpaddler. Nehmt es mir nicht übel, denn das ist ausschließlich meine persönlicher Eindruck, den ich hier schildere.
Vielen Dank an die Organisation und Betreuung der Fahrtenleiter. Ihr habt Euch große Mühe gegeben.
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